Wie viel Architektur braucht der Mensch? Diese Frage beschäftigt mich seit langem und wird immer wieder neu aufgeworfen durch meine Beschäftigung mit dem Generalthema „Bauen für Menschen“. Wir werden versuchen herauszuarbeiten was man allgemein über den Menschen und sein Haus weiß, wir werden das „Brauchen“ untersuchen auf Gebrauch aber auch auf Bedürftigkeit, im Sinne von nötig haben und natürlich der Frage nachgehen müssen, was ist Architektur. Zum Schluss werden wir hoffentlich alle etwas mehr wissen, nämlich: der Mensch ist hausbedürftig. Vielleicht etwas verwirrt sein darüber, dass nicht alle Architektur dieses Bedürfnis befriedigt, besonders dann, wenn sie in fast allen neueren Publikationen in Architekturzeitschriften, den Menschen als störendes Beiwerk ausgrenzt.
Wenden wir uns also der ersten Frage zu: „Was ist der Mensch?“ Wir greifen hier zum Buch von Josef H. Reichholf: “Das Rätsel der Menschwerdung“, in dem in großen erdgeschichtlichen Zusammenhängen die Entwicklung des Menschen anschaulich dargestellt ist und insbesondere die Gründe für die Wanderung des Menschen von Afrika aus in die ganze Welt dargelegt wird. Demnach hatte der Mensch durch den aufrechten Gang und die Entwicklung seiner Sehkraft schwache verendende Großwildtiere der Savanne aus weiter Entfernung entdecken können, musste auf seinen langen Beinen schnell zum Ziel kommen, was umso besser gelang, je mehr er seine Körperbehaarung verlor. So war er vor 40.000 Jahren bestens ausgestattet, um im „Garten Eden“ hervorragend leben zu können.
Im Zuge der Klimaverschiebungen kam dann mit der feuchten Luft die Tse-Tse-Fliege und die Menschen waren gezwungen sich mit Tierfellen zu bekleiden, um sich gegen die Insektenstiche so gut es ging zu schützen oder aber auszuwandern. Nach Reichholf könnte dies die biblische Vertreibung aus dem Paradies gewesen sein, wo es unter anderem heißt: „Ihr sollt im Schweiße eures Angesichtes euer Brot verdienen“. Einmal das Paradies verlassen habend, stellte sich die Welt weit unwirtlicher dar, als im afrikanischen Graben. Der schutzlose „nackte Mensch“ war fortan auf Schutz vor den widrigen Klimabedingungen angewiesen und fand dies in Kleidung und in Höhlen, Hütten und letztlich Häusern. Die Frage, ob es ein Urhaus gab, hat viele Forscher beschäftigt, die Humanethologen, die Verhaltensforscher Mensch, wie Hermann Schiefenhövel oder Bernd Lötsch, beide Konrad-Lorenz Schüler, sind wie der Stand der internationalen Forschung der Meinung, dass es kein Ur-Haus gegeben hat aber eine Urfähigkeit des Menschen, sich zu behausen.
Ich glaube, dass dies nicht nur eine Urfähigkeit, sondern auch ein Urbedürfnis ist, wie man bei der Beobachtung spielender Kinder eindringlich bemerken kann. Mit den oben genannten Hausbaufähigkeiten war der Mensch in der Lage, sich für die widrigsten Standorte, sei es nun trocken-heiß, feucht-warm oder frostig-kalt ein Haus zu bauen, was nach einhelliger Meinung aller Forscher nicht nur physische, sondern auch weitere Bedürfnisse zu erfüllen hatte. Demnach ist Haus also weit mehr als eine Wetterschutzhülle, sondern auch Voraussetzung für psychisches Wohlbefinden und soziale Geborgenheit. Die wichtigsten Untersuchungen wurden in Kulturen erforscht, die unter nahezu steinzeitlichen Bedingungen leben, so bei den Papuas In Neuguinea wo Hermann Schiefenhövel, wie auch andere Forscher in Madagaskar und anderen Orts herausfanden, dass die Urbedürfnisse des sich Behausens auf immer die gleichen Lösungsmuster treffen:
1. Demnach ist das wesentlichste Merkmal, dass man mit seinem Haus ein Territorium schafft, das soviel Schutz bietet, dass man seine Nachkommenschaft sicher und unbeschadet ins zeugungsfähige Alter großziehen kann.
2. Ein gutes Haus sollte Raum für die Privatheit bieten, der mindestens 8 m² groß ist.
3. Ein Raum für die sozialen Kontakte, wir würden sagen, das Wohnzimmer, sollte erstaunlicherweise kleiner als 8 m² sein und bestätigt damit, das die Feste am schönsten in der Küche sind und nicht im Wohnzimmer und dass man im dichten Gedrängel des Flures beim Verabschieden sich länger aufhält als man eigentlich nötig hätte.
4. Ein gutes Haus sollte Pflanzennähe und möglichst Kontakt zum Erdboden haben, jeder Mensch ist phytophil, das heißt pflanzenbedürftig.
5. Durch Teilnahme an Planung oder Bau sollte man zum Haus eine enge emotionale Bindung und damit Möglichkeit zur Identifikation besitzen.
6. Es sollte durch seine Form und Bauweise einen regionalen oder ethnischen Bezug haben, der das Haus als einer Kultur zugehörig darstellt.
Zusammenfassend kann man sagen, dass das Haus kein kognitives rein rationales oder technisches Gebilde ist, sondern dass es stark emotional geprägt ist, so dass es geradezu die „Vervollständigung des ganzen Menschen darstellt“. Das heißt der Hausbauwille und die Hausbaufähigkeit eines jeden einzelnen zeigen, wie in jahrtausendlanger Evolution das Vorhandensein von Haus eine zutiefst humane Notwendigkeit darstellt.
Erstaunlicherweise hatte ich beim Anhören eines Vortrages von Hermann Schiefenhövel über seine Arbeit in Neuguinea das Gefühl, dass er gar nicht über die Papuas und deren Hausbau sprach, sondern über meine damals ganz aktuellen und lebendigen Erlebnisse beim Bau des Jugendhauses in Stuttgart Stammheim, wo ich knapp 300 Tage Jugendliche betreuen konnte, die dort ihr Jugendhaus in Eigenleistung erstellten.
Peter Blundell Jones nannte mich damals den geschmacklosesten (most tasteless) Architekten, den er kenne und ich war natürlich empört und bat um Rücksprache, die er mir so beantwortete:
„Was willst du eigentlich, dass ist doch das höchste Lob, denn Geschmack – im engl. „taste“ ist etwas, was eigentlich gar nicht authentisch ist, sondern über eine bestimmte Gesellschaftsschicht vermittelt wird und der 6-Jährige Junge, der ein Saurierbein im dortigen Café umarmt hatte und sagte: dieses Bein sei so schön, dass er es mit nach Hause nehmen möchte, sei der Beweis, dass dieses Haus auch die Menschen anspräche, die noch vor der geschmacklichen Prägung es im besten Sinne „begreifen“ würden.“
Nicht nur die deutsche Sprache bildet dieses ab, denn bei uns ist die begriffliche Verwendung der Sinne, die Erfahrungswelt der Sinne wie Kükelhaus es nannte besonders einprägsam, beispielsweise an die Hand gebunden, man denke nur an erfassen und begreifen. Der Mensch erfasst und begreift die Welt erst einmal sinnlich, im weitesten Sinne, erkennt der Mensch die ihn umgebende Umwelt immer zuerst dadurch, dass er sie personifiziert, dies gilt insbesondere auch für sein Haus.
Bei der Entwicklung des Menschen sind sich die Forscher darüber einig, dass erst durch die Entwicklung der menschlichen Hand zum universellen Greifwerkzeug, durch die Opposition von Daumen und Zeigefinger, die Notwendigkeit entstand, ein größeres Gehirn zu entwickeln. Das heißt erstaunlicher Weise, dass also nicht die Fähigkeit des Gehirns, die Fähigkeiten der Hand entwickelt hatte, sondern dass die Fähigkeiten der Hand die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns hervorbrachte. In diesem Zusammenhang ist das Buch, das Neurologen Robert T.Wilson, „Die Hand“ eine außerordentlich spannende Lektüre der Soziologe Pohlmann hat in einem Radio-Essay, die Entwicklung der Sinne beim Kleinkind insbesondere auch die der Tasthand faszinierend und für jeden Vater eines Kindes eindringlich nachvollziehbar beschrieben.
Für uns Architekten ist dies insbesondere deshalb von Interesse, weil er schreibt: Das Kind entwickelt seinen Sehsinn relativ spät, weil es zuerst die Welt über die anderen Sinne, insbesondere den Tast- und Geschmackssinn wahrnimmt, das heißt, es hat viele Dinge bereits begriffen, bevor es sie gesehen hat. Das Kleinkind weiß bereits mehr über die Welt, als es allein über sein Auge erforscht haben könnte:
Es weiß dann bereits über den Geschmack, den Geruch die Härte, die Kühle, die Wärme die Struktur und anderes mehr, gleichsam über das Wesen des Apfels, des Felles, der Haut, des Metall-Löffels Bescheid und das Gehirn fügt die Eigenschaften zu einem Gesamtbild zusammen und speichert dieses ab.
Da das Auge mehr sieht als den schönen Schein, entlarvt es auch die inhumanen Seiten eines Materials, welches allein unter ästhetischen Gesichtspunkten ausgewählt wurde, oder anders herum ausgedrückt, manche Häuser braucht man gar nicht erst anfassen um zu wissen, dass sie einem missfallen. Die Unsinnlichkeit unserer modernen Bauten bildet die seelische Verkrüppelung (Konrad Lorenz) und Verarmung der modernen Gesellschaft ab.
Architektur ist meiner Meinung nach alles andere als ein starres Raumgefüge, sondern nie eindeutig, nie wie in den Architekturpublikationen dargestellt menschenleer und neuerdings auch unmöbliert. Architektur ist jederzeit neu und einmalig, jeder Mensch erlebt sie anders und in der Zeit, tags / nachts, sommers / winters, im Regen / in der Sonne, müde / wach, fröhlich / traurig. Man sieht, es gibt gar keinen Grund, dass die Architektur für die Lebenden so aussehen soll wie die für die Toten.
Novalis hat Architektur und Tanz zu den höchsten der Künste gezählt. Er wird dabei an das Erlebnis im Raum und in Zeit gedacht haben. Architektur als etwas, was aus der Bewegung des Kopfes, der Drehung des Körpers, dem Rhythmus des Gehens ganzheitlich erlebt wird. Vielleicht finden wir zu ihr zurück, wenn wir Häuser komplexer erfinden als nur über eingefrorene dünne, unbelebte Schichten zweidimensionaler Pläne. Tanz und Architektur liegen dicht beieinander, hier bewegt sich der Körper in der Zeit durch den Raum, dort bewegt man sich durch den Raum in der Zeit. Die eher eingefrorenen und damit auch fertiggestellten Künste sind Malerei und Bildhauerei.
Wenn wir Architekten glauben, dass ohne unser Zutun das Bauen nicht möglich wäre, so irren wir gewaltig. Ob nicht sogar ohne uns häufig ein besseres Bauen, d. h. wirklich menschgerechte und lebenswerte Umwelten erst möglich würden, könnten wir angesichts beliebiger Beispiele aus Architekturzeitschriften jüngster Zeit wahllos abfotografiert, zumindest für den Normalbürger eindringlich beweisen.
Diese Bilder zeigen in erschreckendem Maße, wie weit unser momentanes Bauen, zumindest was die Trends der sogenannten neuen Moderne angeht, sich von den wirklichen Bedürfnissen der Nutzer entfernt hat und wie sehr es oft ästhetischen Kriterien folgt, die fälschlicherweise als ökonomisch und/ oder ökologisch ausgegeben werden. Wohn- und Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, Büro- und Verwaltungsgebäude sehen alle gleich aus, alle viel zu gerade, viel zu lang, viel zu glatt, viel zu monoton, viel zu machtbedeutend und machtergreifend. Günther Behnisch nannte dies das undemokratische Bauen und fordert seit langem mehr Platz für das Imperfekte, das Spielerische, das Menschliche.
Wenn ich dies sage, bedeutet es nicht, dass es nicht Spitzenkönner der Reduktion und der neuen Einfachheit wie Peter Zumthor oder Herzog & de Meuron mit einigen Bauten, die außerordentlich komplex und alles andere als eindimensional gedacht sind, das Gegenteil zu beweisen scheinen. Aber die Nachfolger, die Epigonen und die Epigonen derselben verballhornen, diese neue Einfachheit zur neuen Einfältigkeit. Schon Hugo Kükelhaus und Alexander Mitscherlich haben früh vor den kaltschnäuzigen Bauten der 60er Jahre gewarnt, vor monotonen Städten und fensterlosen Schulen, vor den allzu einfachen Konzepten, die immer für alles und jedes eindimensionales Rezept zur Antwort haben.
Aber die Welt ist nicht so einfach und wird trotz neuer Medien immer vielfältiger, wobei erschreckend hinzukommt, dass die Ausbildung der in Menschen angelegten Sinne immer mehr verkümmert vor den Computer-Bildschirmen und Fernsehgeräten, wo alles zum zweidimensionalen Bild erstarrt und nichts mehr zur konkreten Handlung auffordert, wo nur noch Welt aus zweiter und dritter Hand erlebbar wird und wo weder Moral noch Verantwortungsgefühl auf der einen Seite, aber auch echte Sensibilität als Ergebnis des im Menschen angelegten Potentials ausgelebt werden können. Bereits für heute taugen unsere modernen Häuser und Städte meist nicht für die Welt von morgen und für die Kinder, die unter diesen neuen Bedingungen heranwachsen, erst recht nicht:
Es braucht sinnenanregende, vielfältige Erlebnisräume, die auf der einen Seite herausfordern zur aktiven Teilnahme und zu anderem zutiefst das Bedürfnis nach Behaustsein sowohl im physischen als auch im psychischen und im sozialen Sinne erfüllen. Christopher Alexander hat in seinem Werk, insbesondere in „Pattern Language“ Regeln aufgestellt, die ein gutes Haus oder eine gute Stadt auszeichnen, die zum großen Teil immer noch wahr und aktuell sind und die jedem Architekten als Lektüre auf den Nachttisch gelegt gehören.
Ich zeige jetzt beispielhaft, wiederum nahezu wahllos, Bilder der historischen, der gewachsenen Stadt, wobei immer und überall die Regeln von Alexander, die Erkenntnisse von den Verhaltensforschern und von Alexander Mitscherlich und Hugo Kükelhaus ablesbar sind und zwar von Trondheim über Stockholm bis nach Lissabon, von Hongkong bis USA, von Afrika bis Südamerika: Die Erkenntnis ist verblüffend einfach: die menschengemäße Stadt bedarf nicht der guten Architektur des Einzelhauses, sondern einer lebendigen, demokratischen Vielfalt gerade auch von Unvollkommenem. Wer kennt nicht das Gefühl, an einem Ort, in einer Stadt sich richtig wohl zu fühlen und wenn er dann als Architekt sich bemüßigt fühlt, in dieser Umgebung nach guter Architektur Ausschau zu halten, fehlt sie oft völlig. Oder als Gegenbeispiel das Erschlagenwerden von einem Architekturpreis, wenn er nur viel zu groß oder auch zu dominant ist.
Haus und Stadt brauchen beide Individualität, weil nur diese den Individuen, die sie bewohnen, entsprechen und insofern lohnt es sich jetzt, herauszufinden, was ein gutes Haus oder gar eine gute Stadt sein könnte. Heinrich Zille hat behauptet, man könne Menschen mit einer Wohnung wie mit einer Axt erschlagen, dies gilt auch für Schulen in Bezug auf Kinder. Was heute in diesem Zusammenhang alles preisgekrönt und viel veröffentlicht wird, ist oft ein einziger Skandal, der Triumpf notdürftig zusammengekleisterter Armutsästhetik, die für jeden sensiblen Menschen als schmerzhafte Belastung empfunden werden muss.
Psychologen, Soziologen und Pädagogen, die sich mit dem Menschen und seinen Empfindungen beschäftigen, wissen, wie sehr eine anregende aktivierende Umwelt Voraussetzung für ein zufriedenes Leben und motiviertes Lernen sind.
Heute wird in Architekturzeitschriften geradezu genüsslich von der durch die anscheinend vorhandene wirtschaftliche Not erzwungenen Gefängnisarmut besonders von Schulen geschwärmt und behauptet, dass dies der Architektur nur gut täte. Siehe z.B. den Titel der Bauwelt 10/2000
„Schulbeispiele. Das Leben wird härter. Die Schulbauten werden es auch. Vorbei die Zeit der Verspieltheit und Kuscheligkeit, der Schulen als Abenteuerspielplätze; die entweichen zunehmend ins Virtuelle. Die Realität bevorzugt klare Baukörper und serielle Grundrisse. Sie sind nicht zuletzt Abbild knapper Budgets. Aber: Der Zwang zum Sparen zwingt auch zur Disziplin – was der Architektur durchaus zum Vorteil gereichen kann.“
Die dazugehörigen Bilder zeigen, in welch leichtfertiger Weise man sich hier über die wirklichen Bedürfnisse der eigentlichen Nutzer, die natürlich in diesen Zeitschriften nie gezeigt werden, hinweggegangen wird. Man hat den Architekten schon häufig vorgeworfen, im Elfenbeinturm zu sitzen: Architekten jurieren Architekturwettbewerbe, bestimmen Architekturpreise, geben Architekturzeitschriften heraus und bilden somit eine fast schon esoterische Gemeinschaft, deren Äußerungen nach außen nicht einfach verstanden werden. Beispielhaft sei hier der Text der Jury zum ersten Preis: „menschenwürdiges Bauen“ gezeigt:
Cuerdo Humano 2
„Dem Verfasser gelingt es auf vorbildliche Weise den städtebaulichen Kontext aufzunehmen und zugleich spannungsvoll neu zu interpretieren.
Die leichte 7 Grad -Verdrehung zum orthogonalen Grundraster wird mit dem einfachen kubischen Baukörper gekonnt inszeniert und durch die reduzierte Einheitlichkeit des Materials von Wand und Dach verstärkt.
Minimalistisch und radikal ist die Beschränkung auf eine wandgroße Öffnung, die zugleich der Erschließung, Belichtung und natürlichen Belüftung dient und beim Ausblick das südliche Stadtumfeld rahmt.
Die Öffnung nach Süden dient zugleich der passiv solaren Energiegewinnung und ist zusammen mit der guten Rezyklierbarkeit der gesamten Wohnanlage ökologisch positiv zu bewerten.
Als einziges Schmuckelement wird die programmatische Aussage geschickt mit dem Rot der Nachbarschaft und dem Logo der Firma Pizza-Hut vorgeschlagen.
Trotz der reduktionistischen Grundhaltung erklärt sich der Entwurf selbstbewusst als moderne, wenn nicht gar zukunftsweisende Architektur durch die „Verletzung“ des reinen Artefaktes Durchsichtbarmachung des Herstellungsprozesses durch das Belassen der bruchrauen Abrisskante am westlichen Rand des Panoramafensters.
Insofern ist das Ensemble zugleich humanes Habitat und ein kultureller Beitrag zur Architektur der Stadt: kurz BAUKULTUR.“
Zwar als Glosse geschrieben, trifft sie doch voll ins Schwarze und zeigt den offenen Graben zwischen Architekt und Nutzer.
Häuser und Städte brauchen jedoch die gleiche Vielfalt wie die Menschen. Erst die Individualisierung bringt das, was Zustimmung, Verständnis, liebevollen Umgang mit den Häusern hervorbringt und Vandalismus einschränkt, oder gar ganz vermeiden lässt. Insofern ist die evangelische Gesamtschule in Gelsenkirchen-Bismarck von uns von Anfang an, als ein ernsthafter Versuch verstanden worden, unter Kenntnis der Bedürfnisse der Kinder zu bauen bei gleichzeitigem Bewusstsein für den Wert der gebauten Welt, wobei ich hier bewusst das Wort Architektur vermeide, denn nach Walter Segal ist z.b. Bauen mehr als Architektur.
Am Beispiel der Evangelischen Gesamtschule in Gelsenkirchen-Bismarck werde ich einen Versuch unseres Büros zeigen, mit diesen Erkenntnissen eine Schule als Lern- und Lebensort zu bauen. Im Jahre 1993 wurde ein beschränkter, internationaler Wettbewerb für die Evangelische Gesamtschule in Gelsenkirchen-Bismarck ausgeschrieben. Die Landeskirche hatte zusammen mit der Internationalen Bauausstellung Emscher Park und der Stadt Gelsenkirchen ein herausforderndes Programm aufgestellt, nämlich für einen unter der Montankrise leidenden Stadtteil mit über 30 % Ausländeranteil und über 30 % Arbeitslosigkeit eine multikulturelle Stadtteilschule zu entwerfen, die neben anderen auch zwingend ökologischen Grundsätzen folgen sollte.
Unser Vorschlag, die Schule als kleine Stadt mit großer Beteiligung der Schüler an der Planung und am Entwurf, sowie teilweise auch beim Bau zu realisieren, wurde mit dem ersten Preis bedacht.
Die Schule ist eine kleine Stadt, sie besteht aus Marktplatz und Straße. Am Eingang stehen das Stadthaus, als Verbindung zum Stadtteil, daneben die Bibliothek, darüber die Kapelle und dann das Rathaus (die Verwaltung). Auf der anderen Seite stehen das Wirtshaus (Mensa), dann am großen Marktplatz das Theater, davor der Kiosk und das Straßencafe unter kleinblättrigen „Black-Olives“, in der Straße dann das Kino (Labor), die Apotheke (Chemie), das Laboratorium (Labor), das Atelier (Kunst) und geht man zur nördlichen Türe hinaus auf den Werkstatthof, dreiviertelkreisförmig umschlossen von den Werkstätten.
Zehn Architektinnen und Architekten unseres Büros haben selbstverantwortlich jeweils eines der Gebäude entworfen, teilweise mit-, teilweise gegeneinander, auf jeden Fall hoch engagiert und für alle Planungsphasen direkt und alleine zuständig.
An Seitenstraßen liegend dann sechs „Reihenhausgrundstücke“, die jeweils ein Klassengebäude mit fünf individuellen Klassen für jeweils einen Jahrgang aufnehmen, der während der gesamten Schulzeit in „seinen“ Häusern bleiben wird. Nicht die Schüler werden die Klassen, sondern die Klassen die Jahrgangsbezeichnungen wechseln. Jahr für Jahr kam in den letzten fünf Jahren eine solche Klassenhauszeile hinzu, mit den Schülern geplant und zum Teil gebaut, in einem unglaublich stimulierenden gemeinsamen Projektunterricht.
Unter meiner Leitung waren jeweils ein(e) Architekt(in) meines Büros für jeweils eine Klasse zuständig, und haben in mehreren Etappen im M 1:10 den Traum eines eigenen Klassenhauses als Modell realisiert. Die Vielfalt der unterschiedlichen architektonischen Ausbildung ist gewollt, wobei auch in Kauf genommen wird, dass nicht alles perfekt ist, im Gegenteil, gerade auch das Imperfekte, das Fehlerbehaftete, erinnert an die gewachsene Stadt.
Wir glauben, dass sich der unglaublich große Aufwand aller beteiligten Planer gelohnt hat. Ein Gang durch das Gebäude lässt vergessen, dass man in einer Schule ist, ja Besucher fragen am anderen Ende schon mal, wo denn nun die Schule beginne, wenn sie diese bereits einmal komplett durchschritten haben.
Das Resümee aus alledem bedeutet, dass Haus und Stadt als Lebensräume für Menschen attraktiv und anregend gestaltet sein müssen. Sie sollten eher kleinteilig und vielgestaltig sein als überschaubar, klar, dominant. Der homo ludens braucht das Abenteuer eher als eine bürokratische Ordnung.
Gute Häuser und Städte sind eher additiv aus kleinteiligen Elementen zusammengefügt, als aus der Unterteilung einer Großform entstanden und insofern ist die gewachsene Stadt erstaunlich resistent gegen das Geschmacksdiktat der Architekten und seitdem die Werbung mit Großplakaten und neuerdings Riesenpostern mit 14 geschosshohen Wäschereklamen das Stadtbild erobern und somit der Stadt ein immer werbefrisches Outfit verleihen, wie als beliebiges Beispiel Mexiko City zeigt. Aber auch in Reutlingen zeigen, die bei einer schnellen Stadtdurchquerung aufgenommene Bilderserie kein eigentlich „gutes Haus“, aber viele zufriedene Gesichter.
Die Frage: “Wie viel Architektur braucht der Mensch?“ Ist also weiterhin unbeantwortet, die Frage: „Wie viel Mensch braucht die Architektur?“ Wohl eher nicht!
Eigentlich wollte ich meinen Beitrag: „Wie viel Architektur verträgt der Mensch?“ nennen, ich glaube wir Architekten müssen aufpassen, die Menschen, für die wir bauen, nicht zu überfordern, damit wir glaubhafte und vertrauenswürdige Partner für mögliche zukünftige Bauvorhaben bleiben.
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