Das expressionistische Fabrikgebäude von Emil Fahrenkamp aus dem Jahre 1923 hatte ursprünglich als Regionallager für die Stahlfirma Thyssen zum Vertrieb von Stahlprofilen und –elementen gedient. Obgleich in den 1990er Jahren schon in schlechtem Zustand, waren die monumentale Ostfassade und die weniger eindrucksvolle Westwand sowie das elegante Stahlskelett erhalten geblieben. Da es sich um ein eingetragenes Denkmal handelte, suchte die Stadt nach einer Nutzungsmöglichkeit in großem Maßstab, bei der die großen Spannweiten von Vorteil wären und eine abträgliche Unterteilung vermieden würde. Das bereits 18 Jahre in einer Interimsstätte spielende Theaterhaus Stuttgart erschien passend.
Werner Schretzmeier, der Direktor des Theaterhauses, bat um eine realisierbare Studie zur Umgestaltung des Gebäudes; darauf folgten etwa fünf Jahre Untersuchung und Entwicklung. Aufgrund der Gebäudegröße mussten außer der Theatergruppe noch weitere Nutzer gefunden werden. Diese fanden sich in der »Musik der Jahrhunderte« und einigen Sporteinrichtungen. Ebenfalls untergebracht werden sollte ein Bühnensaal für Pop-Konzerte, der beträchtliche Rendite versprach. Eine Stiftung wurde gegründet, und Spenden wurden gesammelt für einen relativ wirtschaftlichen Umbau des Verwaltungstraktes, wobei für die Anfangsarbeiten ein Arbeitsbeschaffungsprogramm mit Arbeitslosen eingeplant wurde. Am Ende entstand ein bemerkenswert günstiger Bau im Verhältnis zur Quadratmeterzahl. Dies war aber nur durch sehr effizientes Projektmanagement möglich.
Fahrenkamps Rheinstahlwerk bestand, typisch für seine Zeit, aus einer großen, von oben belichteten Halle zur Lagerung des Stahls, verbunden mit einem eher im Wohnbaumaßstab gehaltenen Seitentrakt für die Büros, alles aus widerstandsfähigem Sichtmauerwerk. Die Halle hatte eine große zentrale Spannweite und zwei Seitenschiffe – eine Ordnung, die an der Querfassade deutlich ablesbar ist – , das Zentrum ist durch sieben hohe, vertikale Fenster gekennzeichnet, die Seitenschiffe haben breite, zurückgesetzte Bögen, von denen jeder auf einem steinernen Gurtgesims sitzt. Diese Details setzen einen gewaltigen Maßstab. Im Innern erreicht die zentrale Spannweite ihre größte Höhe mit überhöhten Bindern. Diese werden von langen Gitterträgern und Stützenreihen getragen, die auf den Grundriss zurückgehen. Niedrigere geneigte Dächer, die auf den Backstein-Außenwänden ruhten, deckten die Seitenschiffe. Zur Zeit des Umbaus standen nur noch zwei der vier Originalwände,man beschloss, das Programm unterzubringen, indem die neuen Wände weiter nach außen versetzt wurden. Dadurch wurden Reihen natürlich belüfteter Räume an der Süd- und Westseite gewonnen.
Der Theaterdirektor verlangte Black Boxes verschiedener Größe mit linearer, mobiler Bestuhlung. Eine derartig extreme Flexibilität wurde auch für andere Nutzungen, zum Beispiel für Pop-Konzerte, gefordert. Der größte Veranstaltungssaal fasst bis zu 1050 Sitzplätze und liegt an der zentralen Achse hinter den sieben vertikalen Fenstern der monumentalen Fassade. Dadurch blieb an der gegenüberliegenden Seite hinter der Westfassade Platz für einen weiteren Raum gleicher Breite, dieser ist natürlich belichtet und auch als Sporthalle nutzbar. Diese helle »White Box« steht im Kontrast zur schwarzen Black Box; sie ist mit Oberlichtbändern ausgestattet und abgeteilt mit bedruckten Sicherheitsglasscheiben, die vom Finnischen Pavillon auf der Expo Hannover kostenlos recycelt wurden. Die Haupterschließung von der Straße erfolgt an der Nordseite, wo ein zur alten Fabrikanlage gehöriger niedrigerer Seitenflügel und ein enger Hof jetzt als Café und Biergarten genutzt werden. Es war am sinnvollsten, den Eingang in die Nordwestecke zu verlegen und das nördliche Seitenschiff als Foyer zu nutzen. Eine Glaswand öffnet die ganze Westseite dieses Raumes, nur unterbrochen durch einen aufgehängten Container, der durch das Glas vorstößt und als Werbung für das Haus dient. Das neue Foyer ist durch die alte Nordwand der Fabrik direkt mit dem seitlichen Hof und Café verbunden; ihren Maßstab setzen die hohen, schmalen Fenster.
Im Foyer ist die originale Dachkonstruktion erhalten geblieben, ebenso wie die alten Führungsschienen zur Bewegung des Portalkrans. Dies ist letztlich der sichtbarste »Industrie«-Raum und der Ort, an dem Alt und Neu höchst dramatisch aufeinandertreffen. Der Versuchung, die alten Stahlteile zu reinigen, wurde widerstanden; sie haben etwas von ihrer Patina bewahrt, und stellenweise bröckelt auch die Farbe. Die neue Dachdeckung darüber ist grau und industriell, aufgelöst durch Dachoberlichter, die auch das Image einer Fabrik aufrechterhalten. Nach den Kartenschaltern und der Bar erhebt sich das Foyer in einer großen Treppenflucht zur oberen Ebene der ansteigenden Sitzreihen des großen Theatersaals und erschließt zugleich die anderen großen Säle. Dadurch entstand ein kleiner Veranstaltungsraum, Saal 4, mit 150 Sitzen, die hinter der Treppe unter den Boden geschoben werden können. Die mittelgroßen Säle 2 und 3 mit 450 bzw. 350 Plätzen wurden an die andere Seite des Gebäudes in das frühere südliche Seitenschiff gesetzt und sind über einen Fußgängersteg zwischen den größten Sälen verbunden. Die Parkplätze liegen an der Südseite; sie wurde zur Rückseite und zum Standort des Lieferanten- und Künstlereingangs. Von außen ist sie als Neubau behandelt, funktional und modern, kubisch und weiß. Linear aufgereihte Büro- und Umkleideräume nehmen die oberen Geschosse ein, von der obersten Etage kragen einige Aufführungsräume für »Musik der Jahrhunderte« aus. Quasi als Symbol der industriellen Vergangenheit endet die Fassade im Osten mit einem großen roten Kamin, aber ursprünglich gab es dieses Element nicht. Es ist ein ganz moderner Abluftkamin für das passive Lüftungssystem, das durch erdgekühlte Keller Luft einzieht, die nur durch Konvektion zirkuliert und durch den Kamin-auftrieb ohne elektrischen Antrieb abgesogen wird. Ventilatoren sind zur Unterstützung bei Inversionswetterlage vorhanden, es besteht jedoch die Absicht, das Innenklima soweit wie möglich passiv zu regeln.
»Der Versuchung, die alten Stahlteile zu reinigen, wurde widerstanden; sie haben etwas von ihrer Patina bewahrt, und stellenweise bröckelt auch die Farbe. «
(Peter Blundell Jones)
fertigstellung 2003
adresse Theaterhaus Stuttgart, Siemensstraße 11, 70469 Stuttgart
bauherr Stiftung Pragsattel
webseite theaterhaus.com
leistungsphasen 1 – 9
flaeche NGF ca. 8.960 m², BRI ca. 60.100 m³
baukosten ca. 12.550.000 € (KG 300-400, brutto)
zusammenarbeit Statik: Löffler, Transsolar Klima Engineering
baubeginn 1996
Theaterhaus Stuttgart
plus bauplanung
plus bauplanung gmbh
goethestraße 44
72654 neckartenzlingen
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