Diese Forderung war aber auch die Folge einer Übungsaufgabe, welche die beiden Professoren über mehrere Jahre stellten, bei der die Studenten Zimmer für sich planen mussten. Dabei lernten sie zuerst etwas über die eigenen Bedürfnisse, ihre Größe und deren Bewegungsraum und erst dann, wie eine Hülle darum herum gebaut werden könnte. Die Professoren nahmen die Herausforderung an, und die Idee wurde mit Unterstützung des Rektors der Universität in Gang gesetzt. Mit dem Universitätsbauamt wurde eine Vereinbarung zum Bau eines temporären Studentenheims mit ca. 30 Zimmern getroffen und dafür eine begrenzte Finanzierung im Verhältnis zur eingesparten Miete vorgesehen. Zur Kosteneinsparung wurde nach überschüssigem und wiederverwendbarem Material gesucht, wozu auch gebrauchte Offsetdruckplatten, Musterexemplare von Baustoffhändlern und versehentlich in falschen Größen hergestellte Isolierglasscheiben und Fenster zählten. Dem temporär überlassenen Grundstück auf dem Experimentalgelände der Universität wurde eine Nutzungsdauer von 15 Jahren zugestanden und das Projekt auf dieser Basis und mit einer auf 5 m begrenzten Höhe von einer üblichen Baugenehmigung befreit. Aufgrund ihres experimentellen Charakters passierten die Studentenbauten die Bauaufsicht in einem Prozess von Baustellenabnahme und Nachtragsbaugesuch. Die beiden Professoren mussten die Verantwortung für die Baustelle übernehmen und Versicherungen abschließen. Die Sicherheitskontrolle beruhte jedoch auf einem Netzwerk aus Vertrauen und gewissenhafter Überwachung durch eine Anzahl von wissenschaftlichen Mitarbeitern des Lehrkörpers. Zum Glück gab es keine ernsthaften Unfälle.
Bereits in einem frühen Stadium entschied man sich für ein einstöckiges Gebäude; dadurch wurden Probleme der Statik und des Brandschutzes vermieden; gleichzeitig wurde jedem Studenten relative Freiheit innerhalb seiner bzw. ihrer Wände gewährt. Es war auch klar, dass aus Kostengründen und zur Vermeidung möglicher Komplikationen die Installationen auf ein zentrales Gemeinschaftsgebäude mit Küchen und Bädern beschränkt werden sollten. Dieser vom Lehrkörper entworfene Teil würde der Ausgangspunkt sein, bevor die radikaleren Experimente begannen. Der kostengünstig nach Walter Segals Konstruktionssystem errichtete schlichte Bau konnte relativ schnell erstellt werden. Dieses zentrale Gebäude wurde auch in üblicher Weise gezeichnet und zur Genehmigung eingereicht, was dem Projekt eine sichere, pragmatische und realitätsbezogene Ausgangsbasis verlieh, bevor die radikaleren Experimente begannen.
Anfangs bestand die Absicht, das Zentralgebäude durch offene Gänge mit den einzelnen Räumen zu verbinden, aber das Studentenwerk erhob dagegen aus Sicherheitsgründen Einspruch und bestand auf geschlossenen Korridoren. Die wirtschaftlichen Zwänge, die Länge dieser Korridore zu begrenzen, führte zu einer Beschränkung der Zimmerbreite auf 2,84 m, der unpopulärsten Entscheidung, zu der die Professoren gezwungen waren. Ein weiterer organisatorischer Aspekt ist am Grundriss abzulesen: Die Studenten wurden in Gruppen eingeteilt, die jeweils von einem Professor oder Assistenten beaufsichtigt wurden, wobei jedes Haus mit vier Zimmern als unabhängiges Element mit seitlichen Abständen gebaut wurde. Dieses erübrigte Diskussionen über die Hausanschlußwände und Koordinationsprobleme zwischen den Gruppen. Die verschiedenen Gruppen benutzten auch unterschiedliche Materialien. Die Lücke zwischen zwei Häusern verschwand später. Sie wurde im folgenden Jahr von Studenten mit zwei extra Zimmern unter Anleitung von Peter Hübner in einer eher improvisierten Weise ausgefüllt. Der Segal-Bau im Zentrum der Anlage erwies sich als der konventionellste Teil des Projektes. Die Studentenzimmer waren im Gegensatz dazu eine außerordentlich gemischte Zusammenstellung aller nur möglichen Bautechniken. Darunter waren ein gekrümmtes hängendes Dach und ein halbkreisförmiges Skelett, das nach dem Prinzip eines Kinderwagenverdecks auf einem Paar alter Traktorenfelgen rotierte. Ferner gab es Erker, Wintergärten, sogar kleine Türme. Die Professoren waren tolerant und ließen ihren Schützlingen freie Hand in der Ausführung ihrer Ideen; sie forderten keine ästhetische Konformität und gestatteten sogar wenig elegante Konstruktionen, sofern sie nicht technische Fehler verursachten. In ihren Vorlesungen behandelten sie in komplexer Weise Themen wie die Vorzüge von Tageslicht und natürlicher Belichtung oder der Reflexion von Sonnenlicht in nach Norden orientierte Räume. Auch gingen sie auf Einzelheiten des Raumbedarfs wie Schlafen, Wohnen und Arbeiten ein. Schließlich bekamen fast alle Zimmer Niveauunterschiede und Galerien.
Da alle Studenten im ersten Studienjahr (oder im zweiten zur Zeit der Bauausführung) waren, suchten sie in ihrem Bemühen um Kreativität alles Einfache und Naheliegende zu vermeiden, und viele Raumentwürfe waren in architektonischer Hinsicht naiv. Da dies vorhersehbar war, forderten die Professoren auch vier Studierende höherer Semester zur Teilnahme auf in der Hoffnung, dadurch Beispiele besserer Qualität zu erzielen. Diese Gruppe erarbeitete ein turmähnliches Gebäude an der Nordostecke mit vier Galerieräumen auf einer sensibel abgestimmten Geometrie. Dieser architektonisch gelungenere und diszipliniertere Entwurf unterscheidet sich von den trotz aller Bemühungen unausgegorenen Ergebnissen der »Anfängergruppe«, auch wenn ihm etwas von deren Frische abgeht. Als das Projekt begonnen wurde, unterschätzten alle die dafür erforderliche Zeit, und einige Studierende, die am Anfang mitmachten, hielten nicht durch. Am ursprünglichen Entwurfskonzept waren die Anfangssemester 1980/81 beteiligt; der Ausführungsentwurf mit Detailmodellen war am Ende dieses akademischen Jahres fertiggestellt. Sehr viel mehr Zeit erforderte es, die konservative Verwaltung und skeptischen Kommissionen für die Erteilung der Baugenehmigung zu gewinnen und die Finanzierung zu sichern. Nur dank der geballten Energie und Beharrlichkeit beider Professoren, die mit voller Unterstützung des Rektors arbeiteten, konnte der Bau schließlich begonnen werden.7 Die Grundsteinlegung erfolgte am 4. Juli 1981. Die Teilbaugenehmigung traf am Ende desselben Monats bei den Projektanten ein. Das Richtfest für den Versorgungsbau fand Ende Oktober statt, und dann begannen die Studenten mit dem Bau der Raumgruppen. Die ersten waren im Sommer 1982 bewohnbar, aber einige Teams bauten noch bis zum Frühjahr 1983.8 Sie erlebten alle Nöte der Baustellenarbeit: Probleme mit dem Wetter, der Koordination der Arbeiten, der Beschaffung der richtigen Werkzeuge. Die Zahl der Teilnehmer nahm ständig ab, letztlich hielt nur der harte Kern der wirklich Engagierten durch. Die Ausführung des Projekts überschritt schließlich die vorgesehene Dauer von zwei Semestern um das Dreifache. Daher mussten die verbliebenen Studenten die Arbeit mit ihren anderen Studienplänen abstimmen und sie auf die Ferien und Wochenenden verlegen. Die volle Durchführung von Planung, Bau und Einzug beschränkte sich letztlich auf eine kleine Elite, aber eine große Zahl Studierender hat in verschiedenen Stadien daran teilgenommen, und alle haben davon profitiert.
Das Bauhäusle erfreut sich unter Studierenden bis heute größter Beliebtheit. Davon zeugen lange Wartelisten, aber auch der außerordentlich gute Zustand des Gebäudes. Das von Studierenden unterschiedlichster Fachbereiche bewohnte Heim wird von Ihnen selbst verwaltet, gepflegt und bisweilen, natürlich im Selbstbau, erweitert.
fertigstellung 1982
adresse Studentenwohnheim Bauhäusle, Allmandring 15, 70569 Stuttgart
bauherr Studentenwerk Stuttgart
webseite bauhaeusle.de
zusammenarbeit Universität Stuttgart, IBK 1
baubeginn 1981
Bauhäusle
plus bauplanung
plus bauplanung gmbh
goethestraße 44
72654 neckartenzlingen
info@plusbauplanung.de
07127 92070