Bautagebuchbericht 268
Projekt: Freie Waldorfschule Kassel
Laufende Nr.: 144
Datum: 14. Dezember 2008, 20:51-23:50 Uhr ICE Stg-Kassel
Wetter: Klar -3°
Anwesende: plus+ bauplanung GmbH, Christian Remes
Einhnundertvierundvierzig, die Wochenenden einfach gezählt und die Treffen vor der eigentlichen Bauphase zu Workshops und Neubaugruppensitzungen gar nicht mit dabei, das macht so ungefähr 800 Stunden im Zug. Das Leben verging also im Zug, morgen wird eingezogen, und ich sitze auch jetzt (wo auch sonst, wenn ich nicht gerade auf der Baustelle oder in Tegners Büro zu finden bin) mal wieder in einem ICE. Zeit zurückzublicken und zu sehen, was in den letzten 3 Jahren seit ich im Januar 2006 zum ersten Mal auf dem Schulgelände war passiert ist.
Wir haben damals eine Schulgemeinschaft vorgefunden, die sich förmlich am eigenen Schopf aus der Unzufriedenheit mit dem damals vorliegenden Entwurf gezogen und sich gleichzeitig erneut in die kräftezehrende Arbeit der Suche nach neuen Planern und eines neuen Entwurfsprozesses geworfen hat.
Und - architektonisch betrachtet - dieses wundersame Schulgelände weit über der Stadt, dessen Gebäude zweieinhalb terrassierte Höfe umschließen. Doch dort wo sich der Blick vom oberen und mittleren Hof den Hang hinunter in das Kasseler Becken öffnen sollte, steht die Steinbaracke und auch die übrigen Fassaden zur Stadt hin sind eher geschlossen. Erste Erkenntnis und erster Wunsch: der Schule einen Abschluss entwerfen, eine offene Stirn zum Tal und einen wirklichen dritten Hof am unteren Eingang zum Schulgelände.
Die zweite wichtige Erkenntnis dann beim Kolloquium mit den konkurrierenden Büros und der Schule: die notwendige Feuerwehrumfahrt muss gar nicht, wie zunächst angenommen, zwischen Bestand und Neubau,
sondern kann davor, zur Sportwiese hin, verlaufen. Neu- und Altbau können verbunden werden, der Altbau profitiert vom im Neubau vorgeschriebenen Aufzug, die Sportwiese bekommt Luft, die Kette D-E-F kann logisch fortgesetzt werden.
Der Mangel hat uns dann zum dritten wichtigen Entwurfselement geführt: wir hatten uns vorgenommen, auch die als Option beschriebenen Erweiterungsräume zu bauen und mussten erkennen, dass der Platz zwischen F-Bau und Sportwiese dann recht knapp wird. Diese Erkenntnis verbunden mit dem Wunsch nach einem Eingangshof führte dann zur Idee, die Werkräume so unter den mittleren Hof zu setzen, dass sie die umarmende Fassade zum Eingangshof bilden. Unten entsteht ein Schaufenster zur Schule (siehe hierzu den Text der Werklehrer). Oben zieht sich über den Werkräumen der mittlere Hof bis zum zentralen Eingang des neuen Gebäudes - so kann man ebenerdig auf zwei Ebenen in den Neubau. Der Entwurf begann sich mit dem Bestand(sgelände) zu verweben.
Mittlerweile, nach der Präsentation der Entwurfsergebnisse aller Büros, hatte sich die Schule (glücklicherweise) für uns entschieden und wir konnten so weiterarbeiten wie wir es von Anfang an gerne gemacht hätten, nämlich nicht allein in unserem Büro, sondern in einem Entwurfsprozess mit der Schulgemeinschaft.
In den Workshops wurden unsere Entwurfsgrundlagen bestätigt, neu hinzu kamen Erkenntnisse über das „Innere", die Flure und Haupttreppen und der Wunsch nach freien Lernorten. Daraufhin wurde ein Raum des ursprünglichen Raumprogramms „aufgelöst", Wände weggelassen. Es entstanden der große freie Raum in der Ebene 1 und der Balkon über dem Treppenraum in Ebene 2. Flure und Treppen bilden einen vertikalen Marktplatz, das Herz des Hauses, das sich um die jetzt grüne Hauptwand schmiegt.
Soweit die wesentlichen Entwurfsparameter. Im Grunde folgten Formensprache und alles weitere diesen Grundsätzen, dem Verweben und Zusammenbringen von Alt und Neu und der Bildung eines neuen, neuartigen Zentrums im Inneren - so (scheinbar) leicht kann Architektur sein. Natürlich lief das nicht immer ganz so glatt wie man denken könnte, zeitweise waren nahezu alle Mitarbeiter unseres Büros in die Arbeit einbezogen. Und waren wir zunächst noch meist zu zweit vom Büro plus+ vor Ort, so wurde das Projekt immer mehr zu meinem Projekt.
Schließlich wurde endlich gebaut und man kann leider nicht sagen, dass es ein leichter Bauprozess gewesen wäre. Probleme mit der Statik haben die Terminplanung mehrmals über den Haufen geworfen und die Stimmung auf und um den Bau war zeitweise entsprechend.
Doch er wurde fertig und je greifbarer das Haus wurde, desto besser wurde die Stimmung allerorten. Spätestens mit Beginn der Eigenleistungen im Sommer 2008 kam eine spürbare Euphorie auf, die bis jetzt nicht nachgelassen hat. Zunächst getragen von einer Stärke des Rohbaus die wir selbst nicht in dieser Form erwartet hätten und dann noch einmal gesteigert, betont durch die Lasuren unter Anleitung von Heiner Nienhaus.
Je näher die Fertigstellung rückte, desto mehr wurde klar, dass es nicht nur das Haus ist, was wir alle (die FWS Kassel in all ihren Gruppierungen, mindestens 23 Ingenieure und ca. 150 Handwerker) geschaffen haben, sondern auch ein neues Gefühl, neue Kraft trotz all der Arbeit, Stolz vielleicht, eine klare offene Stirn.
Haben wir also geschafft, was wir uns zu Beginn erträumten? Ja, und mehr sogar, denke ich.
Aber doch ist es nur ein Haus und erst mit den Bewohnern wird aus Material Leben.
Ich wünsche Haus und Schule alles Gute auf diesem Weg und habe -ganz ehrlich- nicht die geringste Sorge das er nicht auch weiterhin phantastisch werden wird ....
Ihr/Euer, Christian Remes
fertigstellung 2008
adresse Freie Waldorfschule Kassel, Hunrodstraße 17, 34131 Kassel
webseite waldorfschule-kassel.de
flaeche BGF ca. 2.110 m², BRI ca. 8.690 m³
baukosten ca. 2.730.000 € (KG 300-400, brutto)
zusammenarbeit Statik: Dr. Adrian Pocanschi
fotografie suhan-fotografie.de
wettbewerb 1. Preis 2006
baubeginn 2006
Erweiterung Waldorfschule Kassel
plus bauplanung
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72654 neckartenzlingen
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